Wie schafft man den Sprung von „Fleisch“ zu „nur noch Milch und Käse“ zu „gar keine tierischen Produkte mehr“?
Wenn du dich dafür interessierst, dass wir uns heute vegan ernähren, interessiert dich vielleicht auch, wie unser persönlicher Weg war, um diese Frage zu meistern. Und es ist eine gute Frage, wenn man individuelle Bedürfnisse, Lebensstile und Angewohnheiten mit bedenkt.
Dazu müsst ihr wissen, dass wir beide früher keine Unschuldslämmer waren, was unseren Fleischkonsum betraf. Wir haben beide unsere individuelle Story, die uns von Kindesschuhen an geprägt und begleitet hat, ja, aber „Klick gemacht“ hat es erst seeehr viel später – Gerrit war 25, ich (Charlie) war 23.
Charlie der Fast Food Junkie
Wir dachten damals beide noch, dass wir Fleisch (und auch Milch, Käse und Eier) zwingend in unserem Leben bräuchten. Gerrit war da ganz typisch Mann („von Salat schrumpft der Bizeps“). Ich hingegen war einfach nur ein Geschmacksfetischist und konnte – um ganz ehrlich zu sein – auch einfach nicht gescheit kochen. Daher war Junk-Food mein Metier. Das war natürlich nicht immer so, sondern erst, als ich mit 18 Jahren von zuhause auszog, um ein wildes Studentenleben zu führen. 😉 Und neben shoppen, Party und in der Vorlesung schlafen, gehörten eben auch Pizza, Burger und Döner in mein Leben. Liebe ich heute übrigens immer noch, aber eben nur noch in vegan und in Maßen.
Eigentlich ist es ziemlich grandios, dass ich überhaupt den Absprung geschafft habe, wenn man bedenkt, wie ich mich ernährt habe. Wenn ich mal nicht Junk-Food bestellt habe, habe ich eigentlich immer von Spiegelei gelebt. Spiegelei morgens, Spiegelei mittags, Spiegelei abends. Ich habe Spiegelei geliebt. Das ging einfach immer. Außerdem trank ich jeden Abend ein Glas Milch vor dem Ins-Bett-gehen. Ich mochte zudem kein Obst, kein Gemüse und keine Hülsenfrüchte. Und liebte alles, was mit Käse überbacken war. 😀 Tja, da wird es für vegane Ernährung dann schon ganz schön eng. Selbst zu veganer Schokolade hätte man mich nicht überreden können. Damals gab es da eigentlich nur Zartbitter-Schokolade als Alternative und – guess what – ich war natürlich eher der Typ „Weiße Schokolade Crisp“.
Gerrit und der Glaube ans gesunde Fleisch
Bei Gerrit war das etwas anders. Er achtete schon länger auf gesunde Lebensmittel, weil er sich für Ernährung interessierte und sich aktiv damit beschäftigte. Gerrit mochte gerne Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Und liebte es auch frisch zu kochen. Seine Teller sahen also eher so aus, wie die Teller von typischen Fitnessjunkies: Naturreis mit gedämpften Brokkoli und einem mageren Stück Pute. Boom baby, eat that! Aber Fleisch musste damals schon noch sein. Gerrits Problem war weniger die geschmackliche Umstellung, sondern der Glaube, Fleisch sei gesund und man(n) müsste Fleisch essen. Natürlich auch verbunden mit Gewohnheit.
Als ich Gerrit kennenlernte, verzichtete er bereits strikt auf Alkohol und achtete auf seine Gesundheit. Man könnte also meinen, dass Gerrit den gesunden veganen Schwung in unsere Beziehung brachte. Und so war es dann auch, wobei mein Weg beim Junk-Food nicht sofort endete und ich plötzlich vegan wurde. Es war viel mehr ein Wissen- und Bewusstseins-Prozess, den wir beide zuerst durchlaufen mussten.
Gesundheitliche Folgen
Für Gerrit war ausschlaggebend, dass er damals ziemlich stark Neurodermitis hatte. Und keine Creme half. Er hatte schon so ziemlich alles probiert und nur die Kortison-Creme schien ein wenig Linderung zu bringen. Das konnte doch aber nicht die finale Lösung sein?! Dirk und Gabi (Onkel & Tante) – die den Weg in die pflanzenbasierte Ernährung schon längst gegangen waren – beeinflussten Gerrit damals, vegan zumindest mal auszuprobieren, weil sie ihm erklärten, dass Neurodermitis vor allem mit Milchprodukten in Zusammenhang stand.
Neugierig und wissbegierig stürzte Gerrit sich vier Wochen lang auf Gemüse und Obst und ließ brav alle tierischen Lebensmittel weg. Was er damals noch nicht wusste: Verzicht ist nicht der Weg. Nur Reis mit Brokkoli und die Pute weglassen, schmeckt auf Dauer auch nicht. Du musst gänzlich anfangen anders zu kochen, um dich abwechslungsreich, richtig gesund und auch lecker zu versorgen. Daher fielen Gerrit die vier Wochen ziemlich schwer und dabei beließ er es dann auch vorerst.
Umwege über die Low-Carb-Ernährung
In der Zwischenzeit fing ich an Sport zu treiben (denn ein Nebeneffekt meiner ungesunden und tierischen Ernährung bestand darin, dass ich jedes Jahr um die 5 Kilo zunahm…als ich das mal anfing hochzurechnen, sah ich mich schon mit Übergewicht konfrontiert, wenn das so weiterging) und beschäftigte mich mit Low-Carb-Ernährung, die so ziemlich das Gegenteil von veganer Ernährung ist. Man isst viele tierische Lebensmittel, verzichtet dabei gänzlich auf „Light“-Produkte, da man Wert auf qualitative Fette legt, und reduziert natürlich Carbs, also Kohlenhydrate, vor allem Zucker.
Der Grundgedanke ist dabei gar nicht schlecht: Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass unsere heutige Ernährungsform nicht mehr natürlich ist. Die Diät-Industrie bringt Light-Produkte hervor, die schlank, aber krank machen. Außerdem ist heute fast überall Zucker drin, was akkumuliert zu einer überhöhten Aufnahme führt. Entgegen der Gerüchte, dass man in der Low-Carb-Diät auf sämtliche Kohlenhydrate verzichtet (was nicht stimmt), geht es hier vor allem um die ungesunden Kohlenhydrate und darum, dass wir zu viele davon aufnehmen. Insgesamt geht es darum, wieder zu einer natürlicheren Ernährungsform zurückzukehren. Das können dann Vollkornprodukte sein und gute Fette wie die in Nüssen und Avocados.
Unser Gepäck
Ich machte mich mit dieser interessanten Ernährungsphilosophie im Gepäck auf den Weg und ging damit den ersten Schritt in die richtige Richtung, beschäftigte ich mich doch erstmals aktiv mit meiner eigenen Ernährung. Mein Interesse war intrinsisch, wobei ich sagen muss, dass ich auch damals nicht alleine auf diesem Weg unterwegs war. Mein damaliger Exfreund war sport- und ernährungsbegeistert. Man könnte sagen, ich fühlte mich zu solchen Menschen hingezogen, weil ich das schon immer irgendwie interessant fand und mich gerne inspirieren ließ.
Als Gerrit und ich uns dann in China trafen, hatten wir jeder sein eigenes Gepäck dabei. Gerrits Gepäck war noch fleischlastig, aber schon ziemlich vegan-interessiert; meins war low-carb-inspiriert, aber offen und ernährungsinteressiert.
Letzte Rettung
Wie sich später herausstellte, war es für mich sogar auch gesundheitlich von Wichtigkeit, dass ich dringend umstellte auf pflanzliche Ernährung. Denn was ich damals noch nicht gecheckt hatte, war, dass ich von tierischen Produkten Magen-Darm-Beschwerden bekam. Zwar waren sie mittlerweile täglicher Begleiter, aber genau daher hinterfragte ich sie nicht. Es kam mir schlichtweg normal vor. Ich hatte dabei auch keine Bauchschmerzen oder andere Schmerzen (die aber eventuell später mit Entzündungen gekommen wären), aber jedes Mal, wenn ich auf der Toilette saß, signalisierte mein Körper mir, dass er das Essen nicht gut vertrug. Es war aber auch nicht so schlimm, dass ich mir wirklich Sorgen darüber machte. Ich fand es zwar verwunderlich, aber nicht weiter problematisch. Tatsächlich dachte ich damals sogar, dass es vielen Menschen so geht (was vielleicht sogar der Fall ist, man spricht nur nicht drüber) und dass es sozusagen normal ist.
Heute weiß ich, dass mir essentielle Ballaststoffe fehlten und ich tierische Lebensmittel nicht gut vertrage. Danke, lieber Körper, dass du so geduldig mit mir bist und mir zeigst, wenn etwas nicht stimmt. Ich muss nur besser lernen, deine Sprache zu sprechen.
In China wurde es erstmal nicht besser, weder meine Magen-Darm-Beschwerden (die verschlimmerten sich in China eher), noch Gerrits Neurodermitis. Wir aßen weiterhin, wonach uns die Nase stand und wunderten uns, dass wir regelmäßig über der Toilettenschüssel hingen. In China sollte man schon mehr darauf achten, wo und was man isst. Auf tierische Lebensmittel zu verzichten, kann dort ein Sicherheitskriterium darstellen.
Gesunder Start in China
Als unsere Studienzeit in China vorbeiging und wir in unser Praktikum starteten, hatten wir mehr Zeit zur Verfügung. Die Nachmittage verbrachten wir (täglich) damit nach der Arbeit zusammen Sport zu treiben (ja, wirklich Sport, nicht Bettsport 😉) und abends lasen wir viele Bücher. Und so fingen wir an, uns gemeinsam über Ernährung auszutauschen, über das was wir lasen, über unsere Probleme und wie wir das ändern könnten. Wir beschlossen, damit anzufangen, unseren Fleischkonsum stark zu reduzieren, weil wir beide merkten, dass das Fleisch in China oft nicht vertrauenswürdig war.
Unser Milchkonsum war schon ziemlich stark eingeschränkt, weil es in China hauptsächlich Sojamilch gibt, weil viele Chinesen laktoseintolerant sind. Daran hatten wir uns schnell gewöhnt. Und als wir dann immer öfter Eier hatten, die nach Krabben schmeckten, gewöhnten wir uns auch diese ab. Wir waren dann noch nicht gänzlich vegan (manchmal sind wir Burger essen gegangen und hatten dann doch ab und an mal Fleisch), aber unser Alltag war schon so ziemlich pflanzlich.
Rückfall in Deutschland
Umso näher das Ende unserer China-Zeit rückte, umso begieriger wurden wir darauf, bald all die coolen Lebensmittel wieder essen zu können, die wir aus Deutschland so vermissten. Wir wollten grillen, Kinderschokolade essen und Brezel. Wir machten uns dann eine Liste mit all diesen Dingen, die wir gerne ein letztes Mal essen wollten, nachdem wir in Deutschland ankamen. „Ein letztes Mal“ deshalb, weil wir beschlossen, dass wir kurz nach unserer Rückkehr zu 100% auf vegan umstellten wollten.
Das hatten wir uns vorgenommen, da wir durch das ganze Wissen, was wir uns mit den Büchern aneigneten, mittlerweile von den gesundheitlichen Vorteilen überzeugt waren. Und auch unheimlich neugierig, diesen Weg einfach mal zu gehen und auszuprobieren. Wir wussten damals nicht, dass in der Zwischenzeit in Deutschland die Ersatzprodukte nur so in die Höhe schossen und es mittlerweile auch viele vegane Trends gab. Als wir Deutschland verließen, kam uns das noch nicht so vor. Vielleicht hatten wir auch noch nicht das Auge dafür.
Vegan werden – Dinge die uns halfen
Rückblickend war es eine Kombination verschiedener Dinge:
- Wir waren beide geprägt worden durch unsere Kindheitsstube. Gerrit hatte vegane Vorbilder. Mir bereitete das Fleisch essen Gewissensbisse, weil ich so viel Tierliebe mit auf den Weg bekam.
- Wir hatten beide gesundheitliche Probleme durch unsere Ernährung bekommen.
- Wir waren beide wissbegierig, offen, ernährungsinteressiert, und hatten ein Interesse an unserer eigenen (langfristigen) Gesundheit – auch wenn der Weg dahin für beide sehr unterschiedlich aussah.
- Wir machten unsere Erfahrungen, probierten uns aus, nahmen alle Laster mit und lernten daraus.
- Wir räumten uns Erfahrungsraum ein und setzten uns nicht unter Druck, gingen das Ganze aber gleichzeitig systematisch an. Erst Wissen, dann Rezepte, dann Umstellen.
- Wir verstanden den Vorteil für uns und hatten ein (zeitliches) Ziel. Das Abarbeiten unserer Liste war wie ein Meilenstein.
- Wir hatten beide den WILLEN umzustellen.
Der letzte Punkt ist so ziemlich der wichtigste, wenn es darum geht die eigene Ernährung mit allen Lebensgewohnheiten und Geschmäckern umzustellen. Wer nicht wirklich etwas an seinem Leben verändern möchte, mit welchem Ziel auch immer (eigene Gesundheit, Tiere retten, die Umwelt schützen…), der wird auch nichts ändern. Veränderung beinhaltet das aktive Wort „ändern“. Man muss etwas dafür tun. Wer gesundheitliche Probleme hat, sich aber immer weiterhin gleich ernährt, kann nicht plötzlich andere Ergebnisse erwarten. Man muss schon etwas an dem Input verändern, um den Output zu ändern.
Es zeigt sich immer wieder: Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Ausreden.